Schlafes Bruder
Richtig eingestiegen in dieses fotografische Thema bin ich, als ich durch die Korkeichenwälder im portugiesischen Alentejo streifte. Das ist eine Landschaft von herber archaischer Schönheit. Plötzlich liegt ein Lamm, vor mir, scheinbar völlig entspannt scheint es in der Mittagshitze ein Schläfchen zu halten. Doch, als ich noch überlege, wie ich mich zurückziehen kann, ohne es zu stören, ist mir klar: Es ist tot. Vielleicht hat es seine Mutter verloren und ist verhungert oder es war krank. Der Lauf der Natur und trotzdem hat es mich berührt. Deutschland ist kein Land, in dem wilde Tierherden umherziehen. Auch die Tiere, die nicht in industrialisierter Landwirtschaft gequält werden, sind weitestgehend an den Menschen gewöhnt.
Trotzdem habe ich das Gefühl, in eine andere Welt zu schauen, wenn ich auf dem Feld eine Gruppe Rehe beim Äsen, einen Fuchs bei einer nächtlichen Autofahrt am Waldrand entlang streichen oder einen Dachs über einen Waldweg huschen sehe. Sie leben mit uns, aber nicht unter uns – sie halten Distanz. O.K., die Geschichten, die man über Füchse in Berlin liest, sprechen eine andere Sprache.
Mir suggerieren diese Tiere einen Rest an Wildheit in einer durch und durch geplanten, nach Kosten und Effizienz bestimmten Welt, in der die Natur nicht mehr als unser Ursprung gilt, sondern eine Rolle spielt. Plötzlich stoße ich dann auf eines dieser Tiere: Bewegungslos und scheinbar schlafend, völlig entspannt und äußerlich unverletzt ruhen diese Opfer von Verkehrsunfällen am Straßenrand oder unweit der Straße auf einem Getreidefeld.
Merkwürdig: Jedes Mal denke ich, im nächsten Moment springt es auf und läuft davon. Atmet es noch? Die plötzliche Nähe verwirrt, das, was gerade noch so fern war, liegt nun direkt vor mir: Zum Greifen nah!
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