Schönes armes Sizilien

In drei Wochen wird man nun fürwahr kein Experte für Sizilien. Aber man kann zumindest konstatieren, dass man die Region und die Menschen ein wenig kennengelernt hat. Es schmerzt, an die Begegnungen mit Godfredo und Luigi und andere zu denken und dann einen Artikel im Spiegel zu lesen mit dem Tenor „Alle wollen weg!

 

Sizilien hat eine unglaublich reiche Kultur, die von Arabern, Spaniern, Griechen und vielen anderen Völkern geprägt wurde. Multi-Kulti im Mittelalter gewissermaßen. Und dieses reiche Erbe begegnet einem überall, wenn es nicht gerade einem Bauprojekt zum Opfer fällt wie in Palermo. Ob die Mafia daran beteiligt ist oder nicht, spielt eigentlich gar keine Rolle, die Unfähigkeit der Behörden reicht völlig aus.

Im besagten Spiegel-Artikel ist von Milliarden die Rede, die die EU und die römische Regierung für den armen Süden bereitgestellt haben, die nicht einmal abgerufen werden. Und wenn doch, dann werden sie für Prestigeobjekte verpulvert, die kein Mensch braucht.

Als ich im März in Sizilien war, fuhr ich über sieben Stunden mit dem Bus von Catania an der Ostküste bis Trapani an der Westküste.  Die Strecke ist 400 km lang und man bekommt eine Menge zu sehen, zumal es mein erster Besuch war. So wurde mir die Zeit nicht lang. Interessant ist, dass Google im Routenplaner keinen Vorschlag für eine Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln macht. Mit der Bahn ist es jedenfalls unmöglich, es sei denn, man hat 14 Stunden Zeit.

Staat und Klerus – immer in vollem Ornat, aber meistens uneffektiv.

Und ich hatte noch Glück. Einige Tage später nämlich stürzte ein Teilstück der Autobahn ein, auf der ich unterwegs gewesen war. Wochenlang mussten danach die Bustouristen einen stundenlangen Umweg in Kauf nehmen. Da wären die römischen und die EU-Milliarden gut angelegt.

Höhepunkt meiner Reise nach Sizilien war die Settimana Santa in Trapani, die Karwoche. Von Karfreitag Nachmittag ziehen 24 Stunden lang viele Zentner schwere Skulpturen, die den Leidensweg Christi darstellen, getragen von bis zu 25 Männern, durch die Straßen. Jede der Skulpturen wird von einer Marschkapelle begleitet, die Trauermärsche spielt, die eine unglaublich suggestive Wirkung haben. Obwohl ich mich als Beobachter gefühlt habe, hat sich das Gefühl, eine Katharsis zu erleben, nicht unterdrücken lassen. Am Eindrucksvollsten war es für mich, die Teilnehmer in diesem uralten archaisch wirkenden Ritual zu beobachten. Die Männer absolvierten die Strapaze mit einer Würde, die mir manchmal vorkam wie aus einer anderen Zeit. Ein tiefes Gemeinschaftsgefühl ging von ihnen aus. Mir wurde eben auch klar, wie schwer es in Sizilien sein muss, sich gewissen Gruppierungen zu verweigern. Nicht wenige der Männer liegen sich, nachdem die Skulpturen nach 24 Stunden wieder sicher in der Chiesa Purgatorio angekommen sind, weinend in den Armen. Die Gemeinschaft ist den Italienern wirklich heilig.

Aber das Gemeinschaftsgefühl hat offenbar einen bündischen Charakter. Ich glaube nicht, dass wir Deutschen da soviel weiter sind, aber der Ausbruch (!) des Inhabers einer Pizzeria auf der Insel Stromboli, die ihren Namen vom gleichnamigen, immerzu Rauch und Feuer speienden Vulkan hat, war eindeutig. „Es gibt hier einfach keinen Gemeinsinn“, so seine Analyse. „Wenn ich jünger wäre“, regte er sich auf, „ich wäre sofort weg von hier. Ich würde Frau und Kinder nehmen und nach Australien gehen.“ Aber es sei zu spät. Selbst eine Pizzeria aufzumachen, sei in Sizilien ein Problem, klagte er. Der eine Nachbar hat diesen Einwand, der andere jenen. Mal abgesehen von den Behörden, die für Genehmigungen Wochen, wenn nicht gar Monate brauchen. „Dabei gäbe er drei Leuten Arbeit“, schimpfte Maurizio. Aber das würde einfach niemanden interessieren. Und eine verlorene Touristensaison in Sizilien ist eine verlorene Saison. Italiener gehen kaum noch zum Essen. Sie können es sich nicht mehr leisten.

Für Nordeuropäer sind das alles keine Gründe, nicht nach Sizilien zu fahren. Sizilien muss man gesehen haben.

Meine Foto-Seminare im Oktober diesen Jahres eignen sich hervorragend auch zur Mitreise von nicht fotografierenden Partnern.

Jo Achim Werner

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Jo Achim Werner

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