Wasser ist pure Energie

Reisebilder – Heute: An der Mosel

Vor einigen Jahren machte ich eine ausgedehnte Foto-Reise an einigen Flüssen entlang. Ich muss zugeben, dass, wenn ich einfach auf „blauen Dunst“ losfahre, meistens nicht dort ankomme, wo ich eigentlich hin wollte. Es liegt halt einfach zuviel am Wegesrand.

Diesmal aber habe ich es innerhalb von vier Tagen von Hannover bis fast nach Trier geschafft. Zunächst ging es an der Weser entlang bis nach Hannoversch Münden. Dann machte ich einen kleinen Sprung nach Marburg und folgte der Lahn. Das war eine Gegend, die ich noch gar nicht kannte und ich war wirklich begeistert.

Mein Ziel war die Mosel, die ich bei strahlendem Herbstwetter erreichte, wo ich einige schöne Fotos für meine Reisebildergalerie machen konnte.

Wenn man so spontan und ohne Planung losfährt, dann kann die Übernachtung aber schon mal zum Problem werden. Als ich die Lahn entlang fuhr an diesem wunderschönen Oktoberabend, überlegte ich mir, wo ich Station für die Nacht nehmen könnte. Es war aber nicht nur ein wirklich schöner Oktoberabend, sondern der Vorabend des 3. Oktobers, und das führte dazu, dass alle Hotels, an deren Telefonnummern ich geraten konnte, ausgebucht waren. Einzelne freie Zimmer gab es noch – ab 150 Euro aufwärts.

Es wurde dunkel, ich überquerte den Rhein und schlug mich über verschlungene Bergstraßen an die Mosel durch. Irgendwann stieß ich auf den Hinweis auf einen Campingplatz und beschloss, dort im Auto zu übernachten. Doch der Inhaber telefonierte ein wenig herum und wies mir schließlich den Weg zu einem Hotel direkt an der Mosel. Etwas ungläubig kam ich dorthin und aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein Paar aus Hannover (!) hatte ein altes Schulhaus in ein schnuckeliges kleines Hotel umgebaut. Und es war richtig Betrieb und natürlich war das Haus komplett ausgebucht!

Alt aber es funktioniert – Aus einer Zeit, in der Ex und Hopp einfach nicht ging

Meine Gute-Laune-Kurve ging schon wieder nach unten, doch die Inhaber hatten etwas in petto. In der Nachbarschaft hatten sie ein weiteres Haus erstanden, aber noch nicht umgebaut. Der Hinweis „Also, der Standard ist nicht besonders!“ ging an mir vorbei und ich verbrachte eine schöne Nacht in einem Raum, der mir wie eZimmer in einer alten Pension an der Mosel, in dem die Zeit stehen geblieben scheint.in Museum vorkam.

Am nächsten Morgen machte ich das Bild von dem Fenstergriff, der mir wie ein Rückblick in meine Kindheit in den 1950-Jahren erschien. Ich schätze, er war mindenstens so alt wie ich, eher älter.

 

Hochzeitsfotografie – Live dabei am Tag der Tage

Das Kapitel Hochzeitsfotografie – ich hatte damit fast abgeschlossen. Aber genug damit. Mit manchen meiner Ideen war ich meiner Zeit voraus, jetzt, wo es auch andere begriffen haben, gibt es keinen Grund, sich beleidigt davon zu machen. Eigentlich fotografiere ich Hochzeiten nämlich gern! Warum? Nun, weil sie einmalig sind! Meistens! Als geborener Fotojournalist habe ich ein Gespür für authentische Situationen entwickelt, laufe ständig mit neugierigem Blick und wachen Augen herum, immer bereit, diesen einen unwiederbringlichen Moment einzufangen. Sie suchen Jemanden, der nicht solange an Ihnen und Ihrer Partnerin/Ihrem Partner herumbiegt, bis alles den Hochglanzfotos hz_020509_02_dsc_2383aus den Hochzeitsmagazinen gleicht. Der nicht mit Ihnen bespricht, wie Sie stehen müssen, wenn Sie die Torte anschneiden. Sie müssen keine Angst haben: Die klassischen Brautpaarfotos für die Anrichte von Tante Ida werden natürlich auch gemacht.
Meine Idealvorstellung von einer Hochzeitsreportage: Ich erzähle Ihre/Eure Geschichte bzw. den vorläufigen Höhepunkt derselben. Diesen Tag, der so viel von einem wohlgeordnetem Chaos hat, der die Gefühlswellen durchaus schon einmal über die Beteiligten zusammenschlagen lässt, diesen Tag also so nah wie möglich zu begleiten, das ist mein Ding.Und es ist – auch für den Fotografen – ein Riesen-Erlebnis. Denn ich bin überall dabei, wo Sie es wollen.

Hochzeitsgeschichten

 1. Geschichte

Als wir beim Brautpaar ankommen, steht er in Unterhose am Bügelbrett und bügelt sein weißes Hemd. Anschließend ziehen sich Braut und Trauzeugin (spätestens an diesem Tag erfährt man, wofür man/frau beste Freunde und Freundinnen hat) in das Ankleidezimmer zurück. Der Bräutigam ruft aus dem Erdgeschoss: “Ich habe mir doch eben ein Brot geschmiert, wo ist denn das jetzt?” Ich rufe zurück: “Hier oben, auf dem Tisch neben dem Treppengeländer.”  Ich hatte die angebissene Stulle gerade fotografiert. Mein Assistent und ich warten in dem kleinen Flur darauf, die ersten Bilder von der Braut im Kleid zu machen, als die Tür zum Schlafzimmer bww-hp_hochzeit-0349aufgeht und die Braut fragt: “Oder wollen Sie jetzt schon anfangen?” Im Höschen. Mein Assistent, nebenbei mein Sohn und damals noch ziemlich jung, tut einen tiefen Atemzug. Ich gehe mit rein ins Zimmer und – oh Schreck – vor drei Monaten hat das Kleid doch noch gepasst. Da war der Bauch noch nicht so dick. Nach mehreren Versuchen haben die beiden aber den Dreh raus. Nun noch das Strumpfband anlegen – dazu später mehr. Die anschließenden Fotos im Park – vor der Trauung, wie ich allen Paaren nur raten kann – brachte mich an den Rand meiner Leistungsfähigkeit. Die beiden machten wirklich jeden Spaß mit und wenn mir nichts mehr einfiel – Ihnen fiel bestimmt noch etwas ein. Wie schon gesagt: Die Emotionen wallen hoch. Es war eine wunderschöne Trauung. Zwei, die sich gefunden hatten, die sich lieben, ein entstehendes Leben, dazu ein reizendes kleines Mädchen aus einer älteren Beziehung, es war wirklich rührend. Nach der Trauzeremonie und der Segnung durch den Pastor gehen die beiden zu ihrem Platz zurück. Auf dem Weg bleibt etwas liegen, der hilfsbereite Gottesmann eilt nichtsahnend und hilfsbereit hinterher – um das Strumpfband aufzuheben. Die Kirche hat vor Lachen gebebt. Und ich glaube, der liebe Gott hat an diesem Tag seine Freude gehabt.

2. Geschichte

Der Standesbeamte war echt geplättet: “Sie sind der erste Fotograf, der eine vor Glück weinende Braut fotografiert hat!” erklärt er mir anerkennend. Ihr Kollege beim Rausgehen aus dem Standesamt zur Braut: Also, das hätte ich nicht gedacht, dass Du weinen kannst!“ Tja. Und glauben Sie mir, liebe Braut und lieber Bräutigam: in zwanzig Jahren werden Sie die Bilder betrachten und genau wieder so fühlen wie damals. Weil die Bilder echt waren. Und auch dann noch immer sind.

3. Geschichte

hochzeit_0724Wieder so ein tolles Paar.  Wir stehen also im Park und machen Paarfotos. Sein Trauzeuge hat ein Lachen drauf – einfach ansteckend. Die beiden sind begeisterte Tänzer und lassen sich vom holprigen Waldboden nicht davon abhalten, für mich das Tanzbein zu schwingen. Dreihundert Meter vom Auto entfernt erwischt uns plötzlich ein sommerlicher Platzregen, der es in sich hat. Ich renne und schlingere also zum Auto, um einen Schirm zu holen. Doch nass waren wir trotzdem, zum Glück konnte die Braut mit einem meiner Aufheller ihre Frisur retten. Doch die gute Laune verliert heute niemand. “Kommen Sie, jetzt trinken wir zuhause erst mal einen Kaffee auf den Schreck”, sagt sie.Dort angekommen bekommt ihre Mutter angesichts des 10-cm-hohen Dreckrands am Hochzeitskleid fast einen Schreikrampf – und schlägt mir die Tür vor der Nase zu. Dabei hatte ich das Wetter gar nicht bestellt. Aber am Abend haben wir uns wieder vertragen.

Es gibt einen sehr schönen Satz eines amerikanischen Kollegen, den ich gern immer wieder zitiere, weil ich glaube, dass er ein wenig auch meine Arbeitsweise charakterisiert: „Wenn Sie sich später die Fotos ansehen, dann sollen nicht nur die Bilder Ihr Herz erfreuen, sondern auch die Erinnerung an das Fotografiert-Werden.“

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Begegnungen

Schönes armes Sizilien

In drei Wochen wird man nun fürwahr kein Experte für Sizilien. Aber man kann zumindest konstatieren, dass man die Region und die Menschen ein wenig kennengelernt hat. Es schmerzt, an die Begegnungen mit Godfredo und Luigi und andere zu denken und dann einen Artikel im Spiegel zu lesen mit dem Tenor „Alle wollen weg!

Lipari ist die größte der 7 Liparischen oder Äolischen Inseln, die sich nördlich von Sizilien im Thyrenischen Meer verteilt haben. Sie sind vulkanischen Ursprungs. Zwei Vulkane, Stromboli und Vulcano, sind aktiv. | Lipari is the main island of the  7 Aeolian Islands that are located in the thyrennean sea north of Sicily. All the islands are born out of volcanic activity which is still active on Stromboli and Vulcano. (ACHIM WERNER)

 

Sizilien hat eine unglaublich reiche Kultur, die von Arabern, Spaniern, Griechen und vielen anderen Völkern geprägt wurde. Multi-Kulti im Mittelalter gewissermaßen. Und dieses reiche Erbe begegnet einem überall, wenn es nicht gerade einem Bauprojekt zum Opfer fällt wie in Palermo. Ob die Mafia daran beteiligt ist oder nicht, spielt eigentlich gar keine Rolle, die Unfähigkeit der Behörden reicht völlig aus.

Im besagten Spiegel-Artikel ist von Milliarden die Rede, die die EU und die römische Regierung für den armen Süden bereitgestellt haben, die nicht einmal abgerufen werden. Und wenn doch, dann werden sie für Prestigeobjekte verpulvert, die kein Mensch braucht.

Als ich im März in Sizilien war, fuhr ich über sieben Stunden mit dem Bus von Catania an der Ostküste bis Trapani an der Westküste.  Die Strecke ist 400 km lang und man bekommt eine Menge zu sehen, zumal es mein erster Besuch war. So wurde mir die Zeit nicht lang. Interessant ist, dass Google im Routenplaner keinen Vorschlag für eine Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln macht. Mit der Bahn ist es jedenfalls unmöglich, es sei denn, man hat 14 Stunden Zeit.

 (ACHIM WERNER)

Staat und Klerus – immer in vollem Ornat, aber meistens uneffektiv.

Und ich hatte noch Glück. Einige Tage später nämlich stürzte ein Teilstück der Autobahn ein, auf der ich unterwegs gewesen war. Wochenlang mussten danach die Bustouristen einen stundenlangen Umweg in Kauf nehmen. Da wären die römischen und die EU-Milliarden gut angelegt.

Höhepunkt meiner Reise nach Sizilien war die Settimana Santa in Trapani, die Karwoche. Von Karfreitag Nachmittag ziehen 24 Stunden lang viele Zentner schwere Skulpturen, die den Leidensweg Christi darstellen, getragen von bis zu 25 Männern, durch die Straßen. Jede der Skulpturen wird von einer Marschkapelle begleitet, die Trauermärsche spielt, die eine unglaublich suggestive Wirkung haben. Obwohl ich mich als Beobachter gefühlt habe, hat sich das Gefühl, eine Katharsis zu erleben, nicht unterdrücken lassen. Am Eindrucksvollsten war es für mich, die Teilnehmer in diesem uralten archaisch wirkenden Ritual zu beobachten. Die Männer absolvierten die Strapaze mit einer Würde, die mir manchmal vorkam wie aus einer anderen Zeit. Ein tiefes Gemeinschaftsgefühl ging von ihnen aus. Mir wurde eben auch klar, wie schwer es in Sizilien sein muss, sich gewissen Gruppierungen zu verweigern. Nicht wenige der Männer liegen sich, nachdem die Skulpturen nach 24 Stunden wieder sicher in der Chiesa Purgatorio angekommen sind, weinend in den Armen. Die Gemeinschaft ist den Italienern wirklich heilig.

Die Mysterien von Trapani sind eine jahrhundertealte Tradition, die ursprünglich nur von Mitgliedern der Handwerkerzünfte der Stadt unterhalten wurde. Bis zu 25 junge Männer tragen von Karfreitag bis Ostersamstag ununterbrochen 24 Stunden lang Hunderte Kilo schwere Skulpturen durch die Straßen der Stadt, begleitet von Blaskapellen, die Trauermärsche spielen. Der Brauch ist Höhepunkt der Osterwoche, der Settimana Santa, und kam wahrscheinlich aus Spanien nach Italien herüber. | The Mysteries of Trapani are a tradition that dates back to the 16th century. Members of the citys guilds carry skulptures, that weigh hundreds of kilograms through the city accompanied by brass bands that are playing funeral marches. It lasts 24 hours from Good Friday through the day before Easter. The tradition is the climax of the Holy Week, the Settimana Santa and problably was brought to Italy centuries ago from Spain. (JO ACHIM WERNER/Jo Achim Werner|Bilder wie Worte)

Aber das Gemeinschaftsgefühl hat offenbar einen bündischen Charakter. Ich glaube nicht, dass wir Deutschen da soviel weiter sind, aber der Ausbruch (!) des Inhabers einer Pizzeria auf der Insel Stromboli, die ihren Namen vom gleichnamigen, immerzu Rauch und Feuer speienden Vulkan hat, war eindeutig. „Es gibt hier einfach keinen Gemeinsinn“, so seine Analyse. „Wenn ich jünger wäre“, regte er sich auf, „ich wäre sofort weg von hier. Ich würde Frau und Kinder nehmen und nach Australien gehen.“ Aber es sei zu spät. Selbst eine Pizzeria aufzumachen, sei in Sizilien ein Problem, klagte er. Der eine Nachbar hat diesen Einwand, der andere jenen. Mal abgesehen von den Behörden, die für Genehmigungen Wochen, wenn nicht gar Monate brauchen. „Dabei gäbe er drei Leuten Arbeit“, schimpfte Maurizio. Aber das würde einfach niemanden interessieren. Und eine verlorene Touristensaison in Sizilien ist eine verlorene Saison. Italiener gehen kaum noch zum Essen. Sie können es sich nicht mehr leisten.

Für Nordeuropäer sind das alles keine Gründe, nicht nach Sizilien zu fahren. Sizilien muss man gesehen haben.

Meine Foto-Seminare im Oktober diesen Jahres eignen sich hervorragend auch zur Mitreise von nicht fotografierenden Partnern.

Über Orte – Zum Beispiel Duisburg

Duisburg zum Beispiel. Ist so ein Ort. Ein Platz, mit dem ich viele Erinnerungen verbinde, der mittlerweile jedoch im öffentlichen Bewusstsein und auch für mich seine Bedeutung völlig verändert hat. Ich war etwa acht Jahre alt, als wir einen Familienausflug von Hannover aus zu Verwandten meines Vaters in Duisburg machten. Das war Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts noch eine richtige Reise, für meinen Bruder und mich vor allen Dingen eine völlig unbekannte Welt. Ich erinnere mich an so gut wie gar nichts. Aber ein Erlebnis hat sich in meine Netzhaut eingebrannt. Wir standen am Ufer eines Flusses, wahrscheinlich war es die Ruhr, hinter uns eine Kokerei oder ein Stahlwerk. Plötzlich stieß dieses Monster mit Getöse eine riesige Wolke giftgelben Rauches aus einem Schornstein, der die gesamte Gegend einnebelte. Als Landei aus einem niedersächsischen Dorf war schon die Industrie in Duisburg so etwas wie ein Paralleluniversum, aber dann dieser Rauch – in dieser Farbe. Einfach irre! Nicht nötig zu erwähnen, dass niemandem damals auch nur der Gedanke an gesundheitliche Gefahren und die Notwendigkeit von Filteranlagen oder dergleichen Schnickschnack kam. Deutschland war halt mit dem Wiederaufbau beschäftigt.

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Wut, Verzweiflung, Niedergeschlagenheit: die Arbeiter des Krupp-Stahlwerks an der Brücke über den Rhein.

Über dreißig Jahre später, 1988, bin ich wieder in Duisburg. Die Erzählungen meines hochgeschätzten Professors Jörg Boström über seinen Einsatz, gemeinsam mit Roland Günther, zum Erhalt der Bergarbeiter-Siedlung in Oberhausen-Eisenheim, hatte meine Neugierde auf den Ruhrpott und die Menschen dort neu entfacht. Die sogenannte Stahlkrise hat das Ruhrgebiet in Aufruhr versetzt. In Duisburg-Rheinhausen soll das dortige Stahlwerk geschlossen werden. Am 10. Dezember 1987 besetzen Arbeiter die Brücke über den Rhein zum Stadtteil Hochfeld; während des ganzen Winters 1987/88 folgen große Demonstrationen gegen die Schließung des verbliebenen Hüttenwerks. Am 20. Januar 1988 dann ziehen 50.000 Stahlarbeiter aus über 60 Hüttenwerken zur Brücke und benennen sie symbolisch in „Brücke der Solidarität“ um, ein Begriff, der sich mittlerweile eingebürgert hat. Meine Erinnerungen an diesen Tag: Es gibt keinen Friseur, keinen noch so kleinen Laden in Rheinhausen und Umgebung, der nicht mit Solidaritätsadressen geschmückt ist. Es liegt eine ungeheure Spannung in der Luft, der Gemütszustand der Stahlkocher schwankt irgendwie zwischen unbändiger Wut auf „die da oben“ und Sorge um die Zukunft des Arbeitsplatzes, der Familie, der Kinder. Ein Arbeiterpfarrer, der heutige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Nicolaus Schneider,  redet ruhig mit den Männern, versucht auszugleichen. Ich gebe zu, ich bin zwiespältig. Die Fahrt durch Duisburg bei diesigem Winterwetter – da fragt man sich schon, was einen hier hält. Nichts als Industrie, Lärm, Gestank, Umwelt-verschmutzung. Auf der anderen Seite imponiert mir der Menschenschlag hier und ich empfinde eine riesige Faszination für dieses industrielle Herz Deutschlands und die Vorstellung, welche ungeheuren Mengen Stahl hier produziert wurden und werden, für Eisenbahnschienen, Brücken, Gebäude – und Waffen. Der Zwiespalt verschwindet, wenn ich in die Gesichter der Arbeiter schaue. Ich bin auf ihrer Seite.

Wieder 25 Jahre später: Ein neuer Besuch in Duisburg zusammen mit meiner Frau. Eigentlich wollen wir Benjamin, unseren Sohn, besuchen, der hier studiert. Aber wir sind nicht schnell genug; er besucht seine Freundin in München. Immerhin haben wir dadurch seine Wohnung für uns. Der erste Besuch soll natürlich zur Brücke führen, doch da regt sich nichts. Zweieinhalb Jahrzehnte sind eine lange Zeit, das Stahlwerk, dessen Schließung nicht verhindert werden konnte, ist einem Logistik-Terminal gewichen. In den zwei Tagen, die wir in Duisburg sind, komme ich noch oft auf meinen oben beschriebenen Zwiespalt zurück.

Silhouette eines Stahlwerkes in Duisburg, Germany | Silhoutte of a steel mill, Duisburg, Germany (ACHIM WERNER)

Silhouette eines Stahlwerkes in Duisburg, Germany | Silhoutte of a steel mill, Duisburg, Germany (ACHIM WERNER)

 

 

Nur wenige Hundert Meter von seiner Wohnung entfernt hat sich ein Jahr zuvor die Love-Parade-Katastrophe mit über 20 Toten ereignet. Das kapiere ich allerdings erst auf den zweiten Blick. Im Vorbeifahren denke ich zunächst, hier hat es einen Unfall gegeben, deshalb stünden dort so viele Kerzen. Dann kommt ganz schnell  die Erkenntnis, dass „es hier passiert ist“ und irgendwie packt mich das Grauen. Später versuche ich, mich dem Grauen mit der Kamera zu nähern. Es ist ein schöner Sommertag.

Sicht aus dem dunklen Tunnel auf die Rampe, die der einzige Zu- und Ausgang bei der Loveparade 2010 in Duisburg war. Bei einer Massenpanik im Tunnel und dem Versuch über die Rampe zu entkommen, starben 21 Menschen, über 500 wurden verletzt, davon 41 schwer. Heute ist es Wallfahrtsstätte für Überlebende und Angehörige. | Memorial place for the people who died on 24 July 2010 at a stampede at the Love Parade, electronic dance music festival in Duisburg, North Rhine-Westphalia, Germany (ACHIM WERNER)

Wenige Menschen in der Nähe und ich fühle mich trotzdem unwohl. Und wirklich unglaublich: Junge Menschen haben sich durch diese düsteren stinkenden Tunnel schieben lassen, um einer Kultur zu frönen, die viele offenbar nur bekifft oder besoffen ertragen können. Ich sage das nicht, um die Opfer zu verhöhnen. Und wer bin ich eigentlich, über fremdartige Kulturen zu urteilen. Meine Kinder hätten unter den Besuchern, unter den Opfern sein können. Meine Wut hat einen anderen Ursprung: Haben die Toten hier etwas mit den Stahlarbeitern zu tun, die für ihre Arbeitsplätze kämpften, vor 25 Jahren? Ich denke ja. Sie sind tatsächlich auf dem Altar der Marketingbemühungen der Stadtverwaltung geopfert worden. Die sah endlich eine Chance, das Image der Verlierer- der Malocherstadt abzulegen. Der Stadt, der Region, die man mit einem unrasierten pflegelhaften Bullen Schimanski verbindet.\r\n\r\nJetzt sollte die hippe Jugend der Welt, der es vermutlich völlig egal ist, wo sie feiert, Duisburg mal eben einen neuen Anstrich verpassen. Die Stadt marschierte schnurstracks in die selbstgestellte Falle. Und die Verwaltung, an ihrer Spitze ein so bemühter wie überforderter Bürgermeister, ließ sich von einem geldgeilen Sonnenstudiokettenbesitzer (oder waren es Friseursalons?) in diese schlecht vorbereitete Veranstaltung drängen. Unsere doch so gelobte Infrastruktur und Verwaltung – Alle haben hier versagt. Die Polizei, die von ihrem hübschen Hauptquartier 10 Minuten zu Fuß gebraucht hätte? Alle unfähig!

Blick auf die Treppe, über die Besucher der Loveparade 2010 in Duisburg versuchten, der Massenpanik auf der zum Festivalgelände führenden Rampe zu entkommen. Es starben 21 Menschen, 500 wurden verletzt, davon 41 schwer. Heute ist es Wallfahrtsstätte für Überlebende und Angehörige. | Memorial place for the people who died on 24 July 2010 at a stampede at the Love Parade, electronic dance music festival in Duisburg, North Rhine-Westphalia, Germany (ACHIM WERNER)

Und warum das Alles? Wie gesagt, ein Imagewechsel sollte her. Das jedenfalls ist gelungen. Nach der Betroffenheit, der Trauer und der Wut, die sich an diesem Ort einstellen, bleibt mir als Besucher und Berichterstatter nur Zynismus: Ich sehe, die Stadtverwaltung hat dazugelernt: Es steht jetzt ein Wasserwagen bereit (Kein Trinkwasser!), damit Trauernde jederzeit die zahlreichen Blumengebinde wässern können.

Duisburg ist eine Stadt, in der ein Navi Sinn macht. Offenbar ist die Stadt so klamm, dass sie nicht einmal das meterhoch wuchernde Gras auf den Verkehrsinseln mähen kann. Verkehrsschilder sind im Grün verschwunden. Immerhin: Das Zentrum ist leicht zu finden, denn die Stadtväter haben sich ein Heizkraftwerk nur einige Minuten vom Rathaus entfernt hingestellt. Es ist von überall her gut zu sehen. Ich gehe weiter und erlebe eine Überraschung. Ich bin am Innenhafen, der vor weit über 100 Jahren angelegt worden war, weil der Rhein einfach sein Bett verlegt hatte und Duisburg dadurch „auf dem Trockenen saß“. Nun konnte Grubenholz für die zahlreichen Zechen und Getreide für hungrige Kumpel mitten ins Revier transportiert werden. Man sprach tatsächlich „von der Kornkammer des Reviers“. Nach dem Rückgang des Bergbaus war es still geworden um den Innenhafen. Doch Millionen von der EU machen eine gigantische Umbaumaßnahme möglich, orchestriert durch einen Masterplan des britischen Stararchitekten Sir Norman Foster.

Der Duisburger Innenhafen diente früher dem Transport von Grubenholz für die zahlreichen Bergwerke. Seit dem Niedergang des Bergbaus lag das Gelände lange brach. Alte Industriegebäude wie diese Getreidemühle links im Bild und moderne Neubauten bilden ein komplettes Stadtviertel. Der britische Stararchitekt Sir Norman Forster erstellte den Masterplan für die Wiederbelebung des Areals. | New buildings at the inner harbour, Duisburg. The area was orignally built for the transport of wood for the many coal mines in the North-Rine-Westphalian Rhein-Ruhr-Area and for the transport of food for hungry coal miners. It was long a neglected area. The renowned architect Sir Norman Foster designed the master plan for the reactivation fo the area with new buildings and the revival of old ones. (ACHIM WERNER)

Alte Speicherhäuser wurden instand gesetzt und haben Museen und Restaurants aufgenommen. Auf der anderen Seite des Hafens stehen Neubauten, die mich nicht so überzeugen. Ich erinnere mich an die Definition von Kitsch, wie sie Gudrun Scholz, meine Professorin für Designtheorie und Semiotik an der FH Bielefeld, geliefert hat. Kitsch ist es, wenn es nicht zusammen passt, erklärte sie. Das leuchtet mir ein. Der Pflug vor dem Fertighaus oder eben hier der alte Verladekran vor dem Versuch eines modernen Gebäudes. Vermutlich haben die Menschen, die darin beschäftigt sind, noch nie gearbeitet. Sie könnten genausogut in Frankfurt, London oder Kuala Lumpur sitzen. Hauptsache, die unmittelbare Umgebung ist austauschbar und der Internetzugang funktioniert. Vielleicht kehrt hier ja irgendwann einmal Leben ein.

 (ACHIM WERNER)

Am nächsten Tag essen wir in einem der neuen schicken Restaurants am Innenhafen zu Mittag. Es kann natürlich Zufall sein, aber die Bedienung ist unglaublich doof, das Essen ist schlecht und zu teuer. Und: Wir haben absolut keine Lust uns zu unterhalten. Ein paar Stunden später das absolute Highlight eines Duisburg-Besuchs, der Landschaftspark Duisburg-Nord.

Ein ehemaliges Stahlwerk zum Erkunden und ich erinnere mich an meine Faszination für die Menschen, die hier einmal gearbeitet haben. Wir klettern auf den 30 Meter hohen Hochofen. Ich stelle mir vor, wie dieses Monster jedesmal zum Schichtbeginn Dutzende von Arbeitern in seinen Bann gezogen hat, sie haben es gefüttert und umsorgt, so dass es ungestört Erz verdauen und Stahl ausscheiden konnte. Ich verstehe jetzt diese Männer umso besser. Ein harter Job, aber einer mit Perspektive. Wer den Ruhrpott verstehen will, muss so eine Anlage besuchen. Ach, übrigens: Am Eingang zum Landschaftspark gibt es ein schönes kleines Café. Die Bedienung ist total nett und der Kuchen super lecker. Wahrscheinlich Zufall und doch: Was für ein Gegensatz zum Innenhafen.

Five-Boats, ein Neubau von Star-Architekt Nicolas Grimshaw im Duisburger Innenhafen. Der  Innenhafen diente früher dem Transport von Grubenholz für die zahlreichen Bergwerke und sorgten für Nachschub für die hungrigen Bergleute. Seit dem Niedergang des Bergbaus lag das Gelände lange brach. Der britische Stararchitekt Sir Norman Forster erstellte den Masterplan für die Wiederbelebung des Areals mit zahlreichen Neubauten und renovierten und wieder zum Leben erweckten alten Industriebauten. |Five Boats, a modern office building in the Duisburg inner harbor, designed by architect Nicolas Grimshaw. The area was orignally built for the transport of wood for the many coal mines in the North-Rine-Westphalian Rhein-Ruhr-Area and for the transport of food for hungry coal miners. It was long a neglected area. The renowned architect Sir Norman Foster designed the master plan for the reactivation fo the area with new buildings and the revival of old ones. (ACHIM WERNER/bilder wie worte)

Zum Abschluss unseres Duisburg-Besuchs fahren wir noch einmal dorthin zurück. Schließlich bin ich Fotograf und die Architektur dort bietet jede Menge interessanter Motive. Wie z.B. das aluminiumverkleidete Bürogebäude „Five Boats“.
Ich versuche die beste Perspektive zu finden. Nur die Bushaltestelle stört. Zuviel Leben im Bild.

BÜCHER MACHEN

Ein Beispiel toller Zusammenarbeit

Das Buch „VATER UNSER – GEMALT · GEBETET · GEDACHT“, an dem ich für den Felicitas Hübner Verlag gearbeitet habe, war ein Projekt, in das viel Herzblut investiert wurde. Ich finde, das Ergebnis gibt uns Recht. Das Buch besteht unter anderem aus den 12 großformatigen Gemälden, die der Nienburger Künstler Henning Diers zu dem bekanntesten Gebet der Christenheit gemalt hat. Theologen verschiedener Konfessionen und Laien haben dazu Andachten geschrieben.

Als wir begannen, das Buch zu konzeptionieren, wurde uns schnell klar, dass die o.g. Anteile nicht für ein Buch reichen würden, wie wir es uns vorstellten. Das Ergebnis intensiver Diskussionen war genau der Untertitel, den Henning Diers beigesteuert hat. Zur Titelgestaltung kam mir etwas, das man wohl als eine Vision bezeichnen muss, aber schwer zu beschreiben. Ich berichtete dem Künstler davon und – er setzte es genauso um, wie ich es mir vorgestellt hatte. Einfach magisch!

Ein Gespräch zur Entstehung des Buches sehen Sie hier:

Für mich als Journalisten und Fotografen hat mir der Teil, in dem ich mit verschiedenen Menschen, von Korea bis Kolumbien, von Tansania bis Finnland gesprochen habe, die größte Freude gemacht, mal abgesehen von Layout und Titelentwurf.  Es waren keine stundenlange Gespräche und doch haben meine Gesprächspartner mir einen sehr intensiven Einblick in ihr Leben, ihren Glauben und ihren Umgang mit dem Vaterunser gewährt. Manchmal war ich regelrecht überwältigt davon, was sich in einer Stunde für eine Verbindung ergeben hat.

bww-hp_briefBücher müssen sich natürlich auch verkaufen, aber der Brief, den ich von einer meiner Gesprächspartnerinnen erhalten habe, ist etwas, das man mit Geld nicht bezahlen kann. Ich bin nach wie vor sprachlos über dieses überwältigende Lob. Ich werde es als Ansporn für die nächsten Projekte nehmen. Menschen waren mir in meiner Arbeit schon immer am wichtigsten.

Danke!