Sedimente eines Fotografen-Daseins



Kürzlich erinnerte ich mich daran, wie das damals war, wenn ich mit einer mehr oder weniger dicken Tasche nach Hamburg fuhr, um die Bildredaktionen abzuklappern, neue Werke zu zeigen in der Hoffnung, ich würde den Nerv der Bildredakteure beziehungsweise des ganzen Magazins treffen.

Jetzt bin ich umrahmt von Kartons voller liebevoll vergrößerter Schwarz-Weiß-Vergrößerungen, die ich digitalisieren muss oder will, einfach um Platz zu haben. Ich komme mir ein bisschen vor, als wenn ich in Sedimenten meines Berufslebens grabe.

Am intensivsten ist dieses Gefühl und wiederum ganz anders, wenn ich Belegexemplare von Veröffentlichungen einscanne. Durch die Texte kommen die Erinnerungen an die Menschen, die ich getroffen habe, wie z.B. das blinde Ehepaar in Holzminden, umso intensiver zurück. Sie ließen mich Anteil an ihrem Leben haben, für eine Stunde, für einen Tag oder länger.



Manchmal waren das ganz kleine belanglose Begegnungen oder sie haben, um es genau zu sagen, gar nicht stattgefunden, wie im Fall des Bildes von der Frau, die ein stummes Zwiegespräch mit ihrem Wellensittich führt. Klassische Street-photography, von der Straße aus aufgenommen. Leider zeigt das Bild nicht ihre Freude, die sie mir danach zum Ausdruck brachte darüber, dass ich diesen besonderen Moment festgehalten hatte.

Andererseits mag ich Belegexemplare mit Bildern, die zwar tolle Motive sind, von denen ich aber schon zum Zeitpunkt der Aufnahme wusste, dass sie „schwer verkäuflich“ sein würden. Wenn dann der ausgeschlachtete Fernseher in der Mauerlücke für einen Artikel über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens verwendet wurde, freute mich das besonders.







Nach über 5.000 Kilometern im LKW und weiteren 1.000 in der Transsibirischen Eisenbahn habe ich mit einer kleinen Schar von Fernseh- und Printjournalisten die westsibirische Kusbass-Region erreicht. Die LKW bringen Hilfsgüter aus Deutschland in die angeblich notleidende Region, die als Vorreiter beim Zerfall der Sowjetunion gilt. Not gibt es schon, z.B. im medizinischen Bereich, wo es an allem fehlt, Leider haben die LKW der Organisation Cap Anamur auch Artikel geladen, die hier kein Mensch braucht, z.B. Babypflegetücher, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Darum sind sie in Deutschland nicht mehr verkäuflich, aber für eine gute Tat reichten sie allemal.


Viele haben wahrscheinlich die Morddrohung gegen Salman Rushdie als sein persönliches Problem angesehen, das normale Menschen nicht tangierte. Warum schreibt der auch solches Zeug!
Die Vorstellung, dass Irre angeblich im Namen einer Religion 20 Jahre später Menschen auf einem Weihnachtsmarkt mit einem LKW überfahren, war damals noch nicht vorstellbar.


Als ich nach Glasgow kam, um dort fünf Wochen bei Pfarrer Malcolm Cuthbertson zu wohnen und in Easterhouse und Glasgow zu fotografieren, wusste ich durch meine Recherchen, dass die Stadt eine Menge Probleme hatte. Aber das Ausmaß hat mich geschockt, manchmal fühlte ich mich an ein Dritte-Welt-Land erinnert.


Es sind schon einige Ehen vergangen seit diesem Foto von Gerhard Schröder in Hannover. Und die Haare sind jetzt wahrscheinlich auch etwas – lichter.


Jo Achim Werner

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Jo Achim Werner

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