Was ist Streetphotography – Eine Untersuchung anhand eigener Bilder


Vor einigen Tagen erfuhr ich – viel zu spät – von einer Ausstellung zum Thema Street Photography in Hannover. Über 200 Fotografen hatten Bilder eingereicht, aus denen die Ausstellung kuratiert worden ist. Ich ärgerte mich, weil ich nichts davon wusste. Denn sonst hätte ich einige Bilder eingereicht. Ich habe beschlossen, hier meine eigene kleine Ausstellung zu zeigen. Dass ich einige sehr gute Aufnahmen aus dem Genre Straßenfotografie habe, wusste ich schon vorher. Dass es so viele sind, nicht. Also habe ich meine besten Bilder aus der Street Photography zusammengestellt.

Begriffsbestimmung „Street Photography“

Wie so oft, nutzen wir englischsprachige Begriffe, weil sie sich dermaßen eingeprägt haben, dass uns die deutsche Übersetzung komisch vorkommt. Dabei heißt „Straßenfotografie“ auf englisch nichts anderes als „Street Photography“. Aber es handelt sich selbstredend nicht um Fotos von Straßen, sondern, quasi, um Fotos auf der Straße. Die Straße als öffentlicher Raum, in dem das Leben spielt. Vergleichbare Szenen können sich auch in Privaträumen abspielen, aber dort entziehen sich sich unserem Blick. Aus genau diesem Grund wird der Begriff „Street Photography“ auch auf Motive in halb öffentlichen Räumen wie Museen, Einkaufszentren oder Zoos angewandt.

Fotografie ohne Anfang und Ende

Eine der wichtigsten Definitionsansätze für Street Photography ist meines Erachtens, dass sie keinen Anfang und kein Ende hat. Sie lässt den Betrachter in eine Geschichte hineinschauen, doch die Geschichte wird nicht auserzählt, wie z.B. bei der Dokumentarfotografie. Dort herrscht die Erwartung, dass die Fotostrecke komplett ist, außerdem wird von der rein dokumentarischen Fotografie Objektivität erwartet. Die Reportage soll eine Geschichte erzählen und idealerweise gibt es einen Spannungsbogen in der Bildstrecke. In der Straßenfografie gilt das alles nicht und das macht, so glaube ich, ihren Reiz aus. Sie kann nicht objektiv sein, ja es ist geradezu eines ihrer Merkmale, dass sie nicht objektiv ist. Und sie überlässt es dem Betrachter, ja, sie zwingt ihn dazu, sich vorzustellen, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Und wie sie weitergeht. Obwohl: Eigentlich erzählt sie die Geschichte selber.

Street Photography – Untersuchung anhand eigener Bilder

Eines meiner besten Bilder aus dem Genre Straßenfotografie habe ich zu einem Wettbewerb eingereicht. Ich habe zwar nichts gewonnen, aber eine Bildkritik bekommen, die meines Erachtens die Essenz von Straßenfotografie ausmacht: Deine Verbindung mit der Umwelt und den Menschen ist ganz offensichtlich ebenso wie deine Fähigkeit, Motive nicht zu ‘erzwingen’, sondern sie eher entstehen zu lassen, offen zu halten. Das Bild ist sehr komplex und enthält mehrere Ebenen. Es geht unter die Oberfläche und es stellt Fragen.” Dass Street Photography uns nicht kalt lässt, liegt daran, dass wir die dargestellten Szenen so oder ähnlich selbst erlebt haben oder uns ganz gut in die Situation hineinversetzen können. Komische, traurige und mitunter sehr skurrile Situationen tun dazu ihr Übriges.



Während eines fünfwöchigen Aufenthalts in Glasgow besuchte ich ein Museum und stieß auf diese Situation.


In einem Einkaufszentrum.


Ich habe leider vergessen, was die da machten.



… oder Fotografie auf der Straße?


Gesehen in Glasgow


… bei dem Blick.


Auf der Straße in Glasgow.



Gesehen in Vilnius



Novokuznezk/Sibiern bei -25 Grad.


Moskauer Vorstadt

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STRASSENFOTOGRAFIE – WIE GEHT DAS

Bei der Eröffnung der o.g. Ausstellung hörte ich, dass Fotografen, die sich der Street Photography verschrieben haben, bestimmte Voraussetzungen schaffen, um entsprechende Bilder zu machen, wie z.B. Henri Cartier-Bresson, der sich angeblich an einer unübersehbar großen Pfütze postiert hatte, um zu fotografieren, welche Lösungen Passanten fanden, um sie zu überwinden. Wenn es so war, dass Cartier-Bresson darauf gewartet hat, klingt das für mich schon eher nach Dokumentarfotografie, bei der ich einen ganz klaren, selbst oder fremd gestellten Auftrag habe.

DER ENTSCHEIDENDE MOMENT – Ein Merkmal der Street Photography

Sehr kennzeichnend für die aus meiner Sicht authentische Straßenfotografie ist der Begriff “Decisive Moment”. Doch das gilt nach meinem Verständnis nicht für Szenen wie der eben beschriebenen mit der Pfütze. Ganz im Gegenteil: Um es auf die Spitze zu treiben: Echte Street Photography-Motive müssen für FotografInnen völlig unwartet kommen. Der Fotograf muss innerhalb von Augenblicken eine Szene erfassen, sie bewerten, den Blickwinkel überprüfen, bei der Camera die richtigen Einstellungen wählen und dann auch noch in Windeseile die Camera in Position bringen und abdrücken. Jawohl, so ging das früher – als man noch nicht von jeder Szene 15 bis 20 Digitalfotos machte. Fantastisch geeignet dafür war zu meiner Zeit die Leica M6, ausgestattet mit einer überragenden Qualität. Außerdem war sie so klein, dass sie den meisten Passanten erst auffiel, wenn das Foto schon geschossen war.

DARF MAN DAS? – Der moralische Aspekt der Straßenfotografie

Ein wichtiger Aspekt in der Straßenfotografie und eine Standardfrage von Betrachtern meiner Bilder ist: Darf man das? Darf man Menschen ohne ihre Zustimmung fotografieren, womöglich noch in Situationen, die unfreiwillig komisch oder sogar peinlich sind? Meine Antwort: Ich muss – sie fotografieren! Eine ganz andere Frage ist, ob ich das Bild dann auch veröffentlichen werde. Es ist tatsächlich geradezu eine Eigenschaft von Street Photography, dass man die Fotografierten nicht fragen kann, denn sonst ist dieser unwiederbringliche Moment vorüber. Oft entwickelt sich aus dem Gespräch darüber, selbst wenn es am Anfang etwas konfrontativ ist, sogar eine interessante Begegnung. Und manchmal muss man auf die Veröffentlichung auch verzichten. Wenn es keine Möglichkeit gibt zu fragen, entscheide ich so: Steht das persönliche Interesse des/der Fotografierten über der Bildaussage und wie weh tue ich dem Menschen damit. Das ist eine Abwägungssache und kann eigentlich nur aus der langen Erfahrung heraus und mit viel Gespür beantwortet werden.

Wie ich das mache

Sicherlich hat jeder Fotograf, jeden Fotografin andere Heransgehensweisen. Meine besten Bilder aus der Street Photography sind meistens entstanden, wenn ich das Unerwartete erwartete. Wenn ich dafür offen war, nicht mit einem fertigen Bild im Kopf losmarschierte, sondern mich „von den Motiven finden ließ“. Großartige Motive aus dem Genre Street Photography gelingen nach meiner Erfahrung meistens dann nicht, wenn man das Haus verlässt, um sie zu fotografieren. Stattdessen ist es gut, in einer Stimmung völliger Erwartungslosigkeit und gleichzeit größtmöglicher Offenheit loszugehen, Offenheit für andere Menschen, ihr Leben, für die Abgründigkeiten und die Skurillität des Lebens. Mir hilft es, in einen Ort einzutauchen, eine Kreuzung, ein Markt, ein Einkaufszentrum. Und dann – vor mich hin zu träumen.

Jo Achim Werner

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Jo Achim Werner

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